St. Apollonia Helmern
Kirchengemeinde des PR Wünnenberg-Lichtenau
Der lange Weg einer Kapellengemeinde zur Pfarrei
– Ein Beitrag zum hundertjährigen Jubiläum der Pfarrei St. Apollonia Helmern –
Von Dr. Patrick Diermann
Hinweis: Dieser Aufsatz wurde in ungekürzter Form mit umfangreichen Quellenangaben veröffentlicht in: die Warte, Nr. 188 – Weihnachten 2020, S. 27–33.
Die Ursprünge der Kirchengemeinde Helmern sind weitgehend ungeklärt. Die Bücher der Pfarrei Haaren erwähnten Helmern urkundlich zum ersten Mal im Jahr 1301, obwohl der Ort zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schon gut 300 Jahre existierte. Zunächst gehörte Helmern zur Pfarrei Haaren. Später wurde die Pfarrverwaltung von Haaren nach Atteln übertragen. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts sollen auch die Augustiner aus Dalheim für den Gottesdienst in Helmern gesorgt haben.
Im Jahr 1669 veranlasste Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg den Bau der ersten Kapelle in Helmern. Das schmucklose, kleine, mit Schiefer eingedeckte Kirchenhaus und der Altar wurden am 31.03.1693 zu Ehren der Seligen Jungfrau Maria mit Reliquien der heiligen Apostel Andreas und Philippus, der heiligen Mutter Anna sowie eines namentlich unbekannten Märtyrers konsekriert. Obwohl Helmern nun über ein eigenes Gotteshaus verfügte, war der Status als Kapellengemeinde ungünstig, da weiterhin Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse in Atteln stattfanden und der Weg dorthin, insbesondere bei schlechten Witterungsverhältnissen, für viele Dorfbewohner ein unüberwindliches Hindernis darstellte. Außerdem bestand für Kapellengemeinden eine Steuerpflicht an die Pfarrei. So drohte den Dorfbewohnern in Helmern aufgrund des geplanten Neubaus der Pfarrkirche in Atteln eine erhebliche Baukostenbeteiligung. Um sich diesen Kosten zu entziehen, begehrte die Kapellengemeine Helmern bereits im Jahr 1710 eine „Separierung des Dorfes Helmern von der Attelnschen Kirche und Pastorat“. Zugleich bat die Kapellengemeinde den Fürstbischof um Zustimmung zur Erweiterung der Kapelle, zum Bau eines Pastorats und zur Unterhaltung eines eigenen Pastors. Der Fürstbischof lehnte diesen für ihn kostspieligen Forderungskatalog ab, bewilligte jedoch im Jahr 1715 eine Kaplaneistelle in Atteln. Dieser las sodann in der Kapelle an Sonn- und Feiertagen das Hochamt.
Schon rund 80 Jahre nach ihrer Erbauung war die Kapelle in Helmern baufällig. Deshalb wurde im Jahr 1749 eine neue Kapelle errichtet. Trotz Kapellenneubaus war die seelsorgerische Betreuung in Helmern angesichts der Dorfgröße und der schlechten Verkehrsanbindung weiterhin unbefriedigend. Im Frühjahr 1852 soll sogar ein kleines Mädchen auf den Weg von Helmern nach Atteln im Schneegestöber von ihrer Familie getrennt worden sein. An ihren Tod erinnert noch heute ein Kreuz auf der rechten Seite des Attelner Berges. So verwundert es nicht, dass nach wie vor der Wunsch nach einem ortsansässigen Kaplan bestand. Immerhin zählte Helmern im Jahr 1861 bereits rund 740 Seelen. Erst im Dezember 1864 entsprach das Generalvikariat dem Antrag, indem es Kaplan Benteler aus Kleinenberg die Seelsorge in Helmern überantwortete. Obwohl in Helmern weiterhin keine Taufen und Trauungen vollzogen werden durften und es an einem Friedhof fehlte, war die errungene Kaplanstelle für Helmern ein enormer Gewinn und erster Schritt in Richtung Abpfarrung.
Da es der Gemeinde an einem geeigneten Bauplatz für eine Dienstwohnung fehlte, musste der Ortskaplan zunächst bei dem Wirt Johann Agethen in zwei angemieteten Zimmern wohnen. Dies brachte die Dorfbewohner in große Verlegenheit. Nach vielen eindringlichen Zureden der Einwohner ließ sich schließlich Franz Piepenbrock im Jahr 1865 bereitfinden, seine mitten im Dorfe gelegenen Gärten tauschweise an die Gemeinde abzutreten. Die Kosten für den Bau der Kaplanei wurden auf 1.720 Taler veranschlagt. Das 1871 fertiggestellte Haus umfasste neun Räume, von denen fünf beheizbar waren, sowie eine Gartenfläche von circa 18 a.
Die Kaplanei sollte jedoch vorerst nicht die letzte Baumaßnahme in Helmern sein. Die Kapelle aus dem Jahr 1749 war nämlich inzwischen sehr reparaturbedürftig, aber nicht der Reparatur wert, da sie keinen monumentalen Wert oder Charakter hatte. Außerdem war die Zahl der erwachsenen Kirchgänger und Schulkinder so groß, dass die Kapelle sie nicht fassen konnte. Deshalb beschloss die Gemeindevertretung am 21.12.1881 mit 6 zu 1 Stimmen den Neubau einer Kapelle (der heutigen Pfarrkirche). Für den Neubau veranschlagte der Diözesanbaumeister Güldenpfennig 24.000 Mark. Der Bau sollte unter anderem durch eine Hauskollekte in der Provinz Westfalen finanziert werden.
Der Kapellenneubau erhielt erst im Jahr 1885 neuen Antrieb, als die für die Finanzierung erforderliche Kirchenkollekte abgehalten werden konnte. Inzwischen gab es sogar auch einen überarbeiteten Entwurf, da der ursprünglich geplante Neubau bemessen an der Einwohnerzahl des Ortes zu klein war. Als Bauplatz erwarb die Gemeinde im Mai 1885 die an das bisherige Kapellengrundstück angrenzenden „Günterschen Parzellen“ für 3.375 Mark. Hierbei handelte es sich um die Hofstelle der Familie Josef Lünz genannt Günters, die so überschuldet war, dass das gesamte Vermögen zwangsversteigert werden musste.
Trotz eines Finanzierungsdefizits wollten die Helmerner nun mit dem Bau der neuen Kapelle so schnell wie möglich beginnen. Sie erhöhten den Druck auf Amtmann von Dewall im Amt Atteln, indem sie ihn über mehrere Wochen hinweg mit Vorstellungen aller Art, die auf den Kapellenbau Bezug hatten, überhäuften. Eine Genehmigung für die Grundsteinlegung erteilte der Amtmann schließlich am 09.06.1885, als er über die für den 11.06.1885 geplante Grundsteinlegung von dem nunmehr für Helmern zuständigen Kaplan Beele in Begleitung des Maurermeisters Köhler unterrichtet und beredet worden war. Letztere suggerierten dem Amtmann, dass mit der Genehmigung der Grundsteinlegung nicht das Recht zum Bau der Kapelle hergeleitet werden solle.
Am 11.06.1885, dem Tag der Grundsteinlegung, feierte Pfarrer Borgmeyer aus Atteln schon am frühen Morgen um 6 Uhr ein Levitenamt. Nachdem die Grundsteinlegung vollzogen war, zog der Amtmann die erteilte Genehmigung jedoch zurück. Am Vorabend der Grundsteinlegung hatte ihn nämlich eine eilige Verfügung des Landrats erreicht. Dieser hatte darin unmissverständlich seinen Unwillen über die lange Verfahrensdauer und nicht geklärten Finanzierungsfragen gegenüber dem Amtmann zum Ausdruck gebracht. So heißt es in der Verfügung: „Daß Sie, Herr Amtmann, angesichts dieser Verfügung, diese für die sehr belastete Gemeinde so wichtige Angelegenheit in einer so oberflächlichen Weise behandeln […], kann ich nur bedauern und erwarte […], daß Sie den geforderten Bericht so erschöpfend erstatten, daß Rückfragen ausgeschlossen sind.“ Obwohl die seitens des Kapellenvorstandes gegen den Aufhebungsbescheid erhobene Beschwerde vom Regierungspräsidenten zurückgewiesen worden war, setzten die Helmerner die Bauarbeiten fort. Im September 1885 soll sich dann der Bau sogar schon „im vollen Gange“ befunden haben. Die Glockenweihe fand am 26.09.1886 um 16 Uhr in der alten Kapelle statt. Pfarrer Borgmeyer weihte die beiden Glocken dem heiligen Achatius, dem Patron der Pfarrei Atteln, und der heiligen Apollonia, der (zukünftigen) Kapellenpatronin. Nachdem insgesamt über 1.500 Fuhren Steine, 49 Fuhren Sandsteine aus Wrexen, 18 Fuhren Schiefersteine aus Antfeld und 50 Fuhren Kalk verbaut worden waren, konsekrierte Dechant Wacker aus Wünnenberg im Auftrag des Bischofs das neue Gotteshaus am 02.12.1886. Zu diesem Zeitpunkt bot die Kapelle neben dem nötigsten Inventar, wie beispielsweise einem Hochaltar, „dem Besucher nicht viel mehr als ein Dach über dem Kopf“. Die Wände waren kahl; eine Orgelbühne und Seitenaltäre suchte man vergebens.
Die alte Kapelle aus dem Jahr 1749, an deren Stelle heute ein Gedenkstein steht, wurde nach Fertigstellung des neuen Gotteshaueses im Jahr 1887 abgerissen.
Als man in Helmern von der geplanten Erweiterung der Pfarrkirche in Atteln hörte, unternahm die Kapellengemeinde im Juni 1892 einen zweiten Versuch, sich von Atteln abzupfarren. Hierdurch wollte sie ihrer Beitragspflicht für den Erweiterungsbau entgehen, weil die Gemeinde bereits durch den Bau der Kaplanei im Jahr 1871, den Bau der Schule im Jahr 1879 und den Neubau der Kapelle im Jahr 1885 finanziell in einem hohen Maße in Anspruch genommen worden war. Außerdem fehlten ja noch Ausstattung und Ausmalung im ortseigenen Gotteshaus und waren Pfarrkirche und Friedhof in Atteln nach wie vor, insbesondere bei schlechten Witterungsverhältnissen, schlecht zu erreichen. Die Verhandlungen zogen sich hin und scheitern am Ende, weil Helmern das erforderliche Gehalt für einen Pfarrer nicht aufbringen konnte. Allerdings erhob der damalige Bischof von Paderborn, Dr. Hubertus Simar, Helmern mit Wirkung vom 11.04.1897 zur Filial-Kirchengemeinde. Gemäß Artikel I der Errichtungsurkunde blieben die Parochialverhältnisse allerdings unverändert bestehen, was für Helmern weiterhin eine Steuerpflicht an die Pfarrei von 1/7 der Unterhaltungskosten bedeutete.
Am 02.05.1897 konnte der von der Witwe Piepenbrock für 600 Mark erworbene rund 42 a große Begräbnisplatz als ortseigner Friedhof eingeweiht werden. Da die Kirchengemeinde zum Zeitpunkt des dinglichen Erwerbs des Grundstücks jedoch noch nicht den Status einer Filial-Kirchengemeinde hatte und Grundstücke für die Kapellengemeinde somit nur von der Pfarrei Atteln erworben werden konnten, war die Auflassung vom 26.03.1896 nicht rechtswirksam. Sie musste daher von der Witwe Piepenbrock vor dem Grundbuchrichter als rechtsgültig anerkannt bzw. nachgeholt werden. Dies brachte die junge Filial-Kirchengemeinde in eine missliche Situation, da der Friedhof bereits in Gebrauch war. Weil die Witwe den Weg zum Gericht nach Lichtenau aber krankheitsbedingt weder zu Wagen noch zu Fuß beschreiten konnte und auch nicht bereit war, zur Ausstellung einer gerichtlichen Vollmacht nach Henglarn, Atteln oder Husen zu gehen, mussten noch mehrere Monate vergehen, bis die Filial-Kirchengemeinde Helmern schließlich am 10.03.1898 Rechtssicherheit bezüglich ihres Eigentums am Friedhofs erhielt.
Gut einen Monat später gewann die so lang ersehnte Abpfarrung von Atteln erneut Auftrieb durch den Sterbefall Friedrich Meyer genannt Hellweg. Um zu verhindern, dass seine rund 20 Jahre jüngere Frau Gertrud nach seinem Tod noch einmal heiratete und eventuell von einem anderen Partner Kinder bekäme, ließ der alte Hellweg auf dem Sterbebett am 13.04.1898 ein gemeinschaftliches Testament verfassen, das von beiden Eheleuten, dem Amtsrichter Brüning aus Lichtenau und seinem Gerichtsschreiber unterschrieben wurde. Darin heißt es in § 3: „Nach unserem beiderseitigen Tode soll die katholische Kapelle zu Helmern alleinige Erbin unseres gesamten Nachlasses sein. Diese soll verpflichtet sein, jährlich für unsere Seelenruhe je eine heilige Messe zu lesen und zwar jeweils ein Hochamt. Siegelung und Inventur des Nachlasses verbitten wir und haben weitere Bestimmungen nicht zu treffen.“ Am 16.04.1898 verstarb Friedrich Meyer im Alter von 63 Jahren. Das gemeinsame Testament hatte zur Folge, dass die Witwe Meyer mit dem Tod ihres Mannes die Verfügungen nicht mehr ändern konnte. Zwar hätte sie den Hof zu Lebzeiten weiter bewirtschaften und erneut heiraten können, doch wäre das rund 74 Morgen umfassende Vermögen nebst Wohnhaus spätestens mit ihrem Tod der Filialgemeinde Helmern zugefallen. Diese für die Witwe Meyer ausweglose Situation eröffnete dem Kirchenvorstand die Möglichkeit, in absehbarer Zeit den Grundstock für das Pfarrgehalt zu sichern und damit die lang ersehnte Abpfarrung von Atteln Wirklichkeit werden zu lassen. Am 15.10.1898 unterschrieb die Witwe Meyer in der Kaplanei eine Erklärung, wonach sie das Vermögen mit sofortiger Wirkung der Kirche zu schenken gedachte. Ob diese Initiative von der Witwe Meyer selbst oder vom Kirchenvorstand ausging, bleibt offen. Jedenfalls genehmigte das Generalvikariat die Vermögensübertragung unter der Bedingung, einen förmlichen Schenkungsvertrag zu schließen. Der Kirchenvorstand hatte sich jedoch zu früh gefreut. Der am 12.11.1898 geschlossene förmliche Schenkungsvertrag bedurfte nämlich wider Erwarten einer staatlichen Genehmigung, welche vorliegend nicht erteilt werden konnte, da die Witwe Meyer und ihr verstorbener Ehemann hilfsbedürftige nahe Verwandte besaßen, deren Unterhaltsansprüche durch die Schenkung vereitelt worden wären. Auf Drängen des Kirchenvorstandes fügte sich die Witwe den Erwartungen der Gemeinde und schloss mit der Filialgemeinde am 13.02.1899 einen Kaufvertrag. Das Bischöfliche Generalvikariat versagte jedoch die Genehmigung, da der Vertrag in wesentlichen Punkten unvollständig war. Deshalb zog man den Notar Joseph Marfording aus Paderborn hinzu, der einen Kaufvertrag auf Rentenbasis ausarbeitete.
Das Generalvikariat räumte der Filial-Kirchengemeinde nach und nach mehr Rechte ein. So durfte die Kirchengemeinde beispielsweise seit 1902 Fronleichnamsprozessionen abhalten und seit 1906 ein Taufbuch führen. Durch das fatale Erbe hatten sich die finanziellen Verhältnisse der Filial-Kirchengemeinde Helmern erheblich verbessert, dass 1907 eine große Orgelbühne gebaut und 1911 zwei Seitenaltäre errichtet werden konnten.
1919 bemühte sich der Kirchenvorstand von Helmern erneut um eine Abpfarrung von Atteln. Die Gemeindevertretung Atteln erklärte am 01.12.1919 ihr Einverständnis. Nachdem auch die Gemeinden Henglarn und Husen, der Kirchenvorstand von Atteln sowie die Regierung ihre Zustimmung erteilt hatten, stimmte auch der Bischof von Paderborn, Dr. Caspar Klein, der Abpfarrung zum 01.10.1920 zu. Damit war ein über zweihundert Jahre lang gehegter Wunsch Wirklichkeit geworden.